Wattenmeertörn

Die Flut kommt – Segel setzen und Leinen los - Wattenmeertörn

Es ist 07:30 Uhr, meine Augen öffnen sich etwas müde und ich realisiere langsam wo ich mich befinde. Ich sehe vor mir den hellbraunen Teppich der in der Schlupfkajüte meiner Segeljolle an der Wand klebt, einer 5 Meter langen Flying Cruiser S.
Ich drehe mich um und sehe Heiner auf der Steuerbordseite in seinem Schlafsack, die Augen sind noch zu.
Wir sind gestern Abend gegen 22:30 Uhr hier im Hafen von Bensersiel mit Bulli und Jolle auf dem Trailer angekommen. Nachdem wir den Mast gestellt haben und das Boot soweit klar zum slippen ist haben wir noch ein Feierabendbier getrunken und uns anschließend ins Boot zum schlafen gelegt.

Ich sage - „Moin Heiner!“
Heiner - „Moin Martin, lass uns starten!“

Wir pellen uns aus den Schlafsäcken. Zum ausstrecken müssen wir raus ins Cockpit, in der Kajüte ist es zu eng. Wir kochen uns neben dem Boot auf einem fauchenden Benzinkocher einen Kaffee, schlagen die Segel an und verstauen alles was wir meinen die nächsten Tage nicht zu brauchen im Auto. Dann geht’s mit  Auto, Trailer und Boot rückwärts die Sliprampe runter ins Wasser.

Das Abenteuer kann beginnen!

Wir verlassen unter laufendem Motor knatternd den Hafen von Bensersiel, nach der Fähre, welche von hier nach Langeoog fährt.
Nachdem wir das enge Fahrwasser passiert haben, setzen wir die Segel und können direkten Kurs auf die Insel Langeoog segeln.
Bei Sonnenschein und ca. 3-4 Bft Wind aus Südwest haben wir etwa 4-5 Knoten Fahrt über Grund und können es vor Glück kaum fassen wie toll das hier gerade läuft.
Nach nur zwei Wenden und nur einer knappen Stunde Fahrt haben wir schon die Hafeneinfahrt von Langeoog vor uns!
Heiner und ich beschließen, dass wir bei diesem tollen Segelwetter nicht jetzt schon einen Hafen anlaufen können,

Ich- „klar zur Wende!“
Heiner- „ist klar!“
Ich- „Ree!“

Wir biegen nach links ab und setzen Kurs nach Baltrum.

Jetzt segeln wir recht hoch am Wind, haben ablaufendes Wasser und den Strom gegen an. Gegen 14.00 Uhr ist Niedrigwasser und wir hoffen noch durch den Prickenweg im Baltrumer Wattfahrwasser zu kommen. An der Tonne A9 angekommen, sehen wir wie schräg diese liegt und das Wasser sprudelt nur so um die Tonne. Noch eine knappe Seemeile dann beginnt der Prickenweg.

Wir beschließen die Segel zu bergen und unter Motor in das enge Wattfahrwasser zu fahren.
Mit dem Motor kommen wir schnell voran und sind guter Hoffnung uns so durch den engen Prickenweg zu manövrieren.
Wir passieren Backbord querab eine Segelyacht welche schon vor Anker liegt und wohl darauf wartet trocken zu fallen. Wir winken uns fröhlich zu und freuen uns, dass wir noch Fahrt machen. Es ist faszinierend, dass wir zusehen können wie um uns herum immer mehr Land aus dem Wasser auftaucht.

Plötzlich verliert der Motor an Leistung und hat scheinbar Schwierigkeiten sich durch das trübe Wasser zu kämpfen. Kurz darauf stirbt der Motor ab!
Mit unserer restlichen Fahrt steuern wir aus dem engen Fahrwasser an den Rand.
Es ist ca. 13:00 Uhr und wir sitzen fest!

 

Heiner geht zum Bug der Jolle, holt den Anker aus dem Ankerkasten und hüpft von Bord in das Knöcheltiefe Wasser um den Anker ins Watt zu drücken. Wir haben zwar weniger als die „Handbreit Wasser unterm Kiel“ allerdings drückt die Strömung doch recht stark gegen den Rumpf, so dass wir verhindern wollen, abgetrieben zu werden.
Wir legen uns im Cockpit auf die Sitzduchten und staunen was um uns herum passiert.
Im Watt blubbert es nur so und immer mehr Muscheln, Krebse und anderes Getier ist zu sehen.
Langweilig wird es nicht, es gibt ständig etwas Neues zu sehen. Heiner versucht uns mit seiner Angel im restlichen Wattfahrwasser einen Fisch fürs Mittagessen zu fangen. Bis auf eine Krabbe bekommt er allerdings nichts an den Haken.

Gegen 15:30 Uhr wird es Zeit, dass wir wieder an Bord gehen. Das Wasser ist mittlerweile wieder so hoch das wir gerade noch trockenen Fußes zum Boot gehen können.
Bis wir allerdings wieder fahren können soll es noch etwas dauern.
Als das Wasser hoch genug ist, dass auch größere Boote wieder fahren können, ziehen sich die Schiffe wie an einer Perlenkette gezogen durch das enge Wattfahrwasser in beide Richtungen.

Um 19:30 Uhr laufen wir in den Hafen von Baltrum ein und sind froh, dass wir ein so kleines Boot haben. Am Steg werden wir freundlich empfangen und finden einen prima Liegeplatz. Mit einer größeren Segelyacht hätten wir wohl Probleme bekommen noch einen Platz zu finden.
Nachdem wir das Boot soweit klar haben gehen wir über die Steganlage und setzen uns auf einer Anhöhe auf eine Bank. Wir sehen über den Hafen auf das Wattenmeer und lassen uns den Tag noch einmal durch den Kopf gehen. Wir konnten uns im Voraus nicht wirklich vorstellen was uns hier auf der Nordsee mit der Jolle erwartet. Wir hatten mit dem Wetter Glück und auch die Zeiten der Tide waren für uns günstig. Der erste Tag war einfach nur großartig, wir sind stolz und dankbar, dass wir diesen Törn erleben dürfen.

Wir sind gespannt wie es weitergeht!
Am Abend erkunden wir die Ortschaft und genießen bei einem leckeren Aperol Spritz auf der Promenade den Sonnenuntergang.

Den nächsten Tag verbringen wir auf der Insel. Wieder bei bestem Wetter umrunden wir sie zu Fuß die Insel durch Dünenlandschaft und den Strand. Bei einem Fischbrötchen planen wir die Route für den nächsten Tag.

Morgens um 09:30 Uhr laufen wir am Samstag aus dem Hafen von Baltrum aus, Richtung SW.
Auf einer Sandbank am Ostende von Norderney können wir mehrere Dutzend Seehunde beobachten die in der Sonne dösen. An der Fahrwasserteilungstonne D19 fahren wir bei Hochwasser zwischen Baltrum und Norderney an der Othelloplate vorbei raus auf das offene Meer.
Der Wind steht für uns günstig und wir können mit direktem Kurs auf die Ansteuerungstonne Accumer Ee zu halten. Zwischendurch taucht in unserem Achterwasser immer wieder ein Seehund auf, der sich wundert wer denn hier wohl mit einem kleinen Boot raus auf das Meer fahren will.

Die Stimmung ist prima und wir können ganz entspannt das Segeln genießen.
Wo wir so entspannt und mit fast fünf Knoten Fahrt über Grund gut voran kommen, hat Heiner die Idee wir könnten doch gleich bis Helgoland weiter segeln.
Da unser Zeitplan diesen Abstecher nicht zu lässt, beschließen wir nach einer Umrundung der Ansteuerungstonne durch das Fahrwasser zwischen Baltrum und Langeoog zu fahren.

Gegen 14:30 Uhr merken wir, dass wir immer mehr gegen den Strom des ablaufenden Wassers ankämpfen müssen und wir nicht mehr viel Fahrt über Grund machen können.
Wir entschließen uns den Motor zu starten. Da wir auch sehr hoch am Wind segeln, drohen wir sonst durch den Strom Rückwärts zu fahren, auch wenn wir ziemlich viel Fahrt durchs Wasser machen. Mit dem Außenborder kommen wir gut vorwärts und können an der Tonne A9, welche wir vor zwei Tagen auf dem Hinweg nach Baltrum, schon einmal passiert haben den Motor wieder stoppen. Auf recht starkem Raumwindkurs mit ca. 5Bft kommen wir auch jetzt wieder gut vorwärts.
Auf dem Kurs merken wir allerdings nicht gleich, dass der Wind mehr und mehr zunimmt.
So beschließen wir erst recht spät das Großsegel zu bergen. Wir versuchen mit dem Boot in den Wind zu drehen, was uns durch die Strömung, Welle und Wind nicht auf Anhieb gelingen will. Wir fahren also die letzte SM bis zur Einfahrt in den Hafen von Langeoog unter voller Besegelung. Nach dem wir die Einfahrt passiert haben und auch keine Fähre mehr in Sicht ist, starten wir den Motor und drehen jetzt das Boot in den Wind.
Das Großsegel ist schnell unten und am Baum befestigt. Bei dem Vorsegel haben wir so unsere Probleme, das Segel will sich beim eindrehen nicht dicht genug um das Vorstag wickeln. Sobald wir das Boot aus dem Wind drehen fängt das Vorsegel heftigst an zu schlagen. Also müssen wir auch das Vorsegel bergen. Ich gehe zum Bug und versuche das Vorsegel auszudrehen.
Ich löse am Mast das Fall und bekomme irgendwann das Segel soweit runter gezogen das ich es zwischen mir und dem Bugkorb einklemmen kann.

Heiner steuert jetzt die Jolle unter Motor auf die Hafeneinfahrt zu, dass Boot stampft ziemlich durch die Wellen, dass ich mich entschließe, vorne auf dem Bug sitzen zu bleiben bis wir in der Hafeneinfahrt in ruhigeres Gewässer kommen.
Im Hafen angekommen merken wir, dass das Wasser schon ziemlich weit zurück gegangen ist und ziehen das Schwert fast ganz nach oben. Wir wollen gleich bei der erst besten Gelegenheit am Steg fest machen, wir drehen einen Kreis um gegen den Wind am Steg liegen zu können, da merken wir, dass wir Grundberührung haben. Schnell ziehe ich das Schwert ganz nach oben, Heiner gibt ordentlich Gas und wir können am Steg festmachen.

Puh, geschafft!!!

Die nächste Stunde müssen wir uns beide nach dem gerade Erlebten erst mal wieder sammeln. Ich verdrücke im Cockpit der „Tiger Ente“ eine Tafel Schokolade und Heiner trinkt an Land einen Kaffee.
Gegen Abend spazieren wir die ca. zwei Kilometer in den Ort der Insel. Es ist für „Coronazeiten“ ziemlich voll. Nachdem wir den Wasserturm und etwas vom Strand erkundet haben essen wir in einem Lokal und spazieren mit einem Eis in der Hand wieder zurück zum Hafen. Wirklich gut hat uns der Ort nicht gefallen. Da war es auf dem beschaulichen Baltrum doch schöner.

Wir gehen zum Hafenmeisterbüro um unseren Liegeplatz zu bezahlen. Ich bin selten so angeblafft worden wie von dieser Hafenmeisterin!
„Es wäre ja wohl eine Unverschämtheit erst jetzt zu kommen!“ sagt sie, „Eine Liegeplatzgebühr ist eine Bringschuld und sei umgehend zu entrichten!“
Naja, wir lassen sie schimpfen, bezahlen und gehen in die „Kajüte am Hafen“ und trinken einen Aperol Spritz.
Leider hat das den Eindruck dieser Insel auf uns nicht verbessert. Wir überlegen eine Nachtfahrt zurück nach Bensersiel zu machen, lassen das aber sein und legen uns irgendwann in die Schlafsäcke.

Da am nächsten Tag der Wind gegen Mittag zunehmen soll, beschließen wir gleich nach dem Aufstehen ohne Frühstück abzulegen. Wir haben gutes Wetter und der Wind steht für uns mit ca. 3-4 Bft günstig. Wir genießen wieder das entspannte segeln und verspeisen unseren restlichen Proviant. Nach ca. einer Stunde sind wir wieder am Fahrwasser zum Hafen von Bensersiel. Wir bergen das Großsegel und laufen unter Motor und Vorsegel in den Hafen ein.

Was für vier Tage auf dem Wattenmeer.